Als sie als junges Mädchen beim Fasnachtszug den Fanfarenzug mit seinen Fahnen, Bläsern und Trompetern durch Hockenheims Straßen ziehen sah, hatte Anja Balduf einen Traum: "Das sieht super aus, eine tolle Sache. Da will ich auch dabei sein." Rund dreieinhalb Jahrzehnte später ist dieser Traum Wirklichkeit geworden: Als verheiratete Mutter eines Sohnes steckt Anja Seiler nun selbst in der blau-weißen Landsknechtsuniform. Damit fiel eine der letzten Männerbastionen im Verband Südwestdeutscher Fanfarenzüge. Diesem gehören 41 Formationen, zum Teil auch Abteilungen von Freiwilligen Feuerwehren, an und nur noch in Ubstadt-Weiher gibt es eine reine Männerwirtschaft.
Zwischen Traum und Wirklichkeit passierte so einiges im Leben des musikalischen Multitalents aus Hockenheim. Anja Seiler sang in den Anfangsjahren bei der legendären "Party Gang" sowie später bei den "Celtic Pearls" und spielte diverse Instrumente, unter anderem Saxofon und Akkordeon, in verschiedenen Musikkapellen und Orchestern. Anja Seilers großer Mädchentraum war zunächst einmal weit weg.
Satzung musste geändert werden
Dies änderte sich schlagartig, als ihr Sohn Julian (12) Trompetenunterricht bei Fanfarenzug-Musiker Benjamin Wolf nahm. Die Nachbarn ("In unserer Straße wohnen lauter Musiker") kamen ins Gespräch, der Kontakt zum Hockenheimer Fanfarenzug war hergestellt. Bevor die 45-Jährige mit ihrem Sousaphon, einer Form der Tuba, inmitten der rund 35 FZ-Musiker Platz nehmen durfte, musste noch ein Hindernis aus dem Weg geräumt werden: Der Fanfarenzug der Rennstadt war nur Männern vorbehalten. Eine vom Vorsitzenden Rainer Sass forcierte Satzungsänderung bei der Jahreshauptversammlung im März machte den Weg auch für Musikerinnen frei.
Mit Herzklopfen zur ersten Probe
Anfang April reihte sich Anja Seiler, nicht ohne Herzklopfen, bei ihrer ersten Probe in die Männerriege ein - und es passte. Der musikalische Leiter Peter Ehringer gab von seiner Seite aus grünes Licht (die Voraussetzung für eine aktive Mitgliedschaft) und Anja Seiler fühlte sich schnell wohl: "Das ist halt meine Musik. Beide Richtungen, die reine Fanfarenmusik, die ich von früher kannte, und die moderne Literatur in Orchesterbesetzung." Die FZ-Exotin wurde zunächst von ihren Kollegen mit etwas Zurückhaltung aufgenommen. Für Anja Seiler nicht unangenehm und ein ganz normaler Vorgang, wie sie im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt. Mittlerweile sei das Eis gebrochen. Die Musikerin: "Ich fühl mich sehr wohl und voll integriert." Sie freut sich, dass sie von ihren männlichen Kollegen als Musikerin akzeptiert werde. Beim Fanfarenzug schätzt sie den "tollen Zusammenhalt" und will hier, wo auch ihr Sohn in der Jugend musiziert "musikalisch alt werden". Nach sechs Proben hatte die Musikerin beim Waldfest der "Blauen Husaren" ihren ersten öffentlichen Auftritt mit dem Fanfarenzug und ein paar Tage später lief sie anlässlich des Mittelaltermarkts inmitten der Landsknechte durch die Stadt. Für Anja Seiler eine sehr emotionale Angelegenheit, für den FZH ein historisches Datum: Er präsentierte sich in seiner 57-jährigen Geschichte erstmals mit einer Frau. Anja Seiler scheint angekommen bei den Landsknechten: "Ich fühle mich nicht als Fremdkörper Frau, sondern als Kumpel." Sie appelliert an andere Frauen, den Mut aufzubringen und den Weg zu gehen, den sie gegangen ist: "Es lohnt sich."
FZH breiter aufstellen
Mit der Aufnahme von Musikerinnen setzt der Fanfarenzug konsequent seine positive Entwicklung in den vergangenen Jahren fort, die zunächst darauf ausgerichtet war, Jugendliche in den Seniorenzug zu integrieren. Die Aufnahme von Frauen hat laut Rainer Sass eine Vorgeschichte: "Ich wurde immer wieder von Frauen angesprochen, dass sie gerne bei uns mitspielen würden. Letztlich blieb trotz einiger Anfragen und auch fester Zusagen nur Anja Seiler übrig." Für den Vorsitzenden enttäuschend. Der Vorsitzende lässt keinen Zweifel daran, dass der Fanfarenzug durch die Aufnahme von Frauen seine Musikrichtung nicht ändern werde. Dies sei tabu, ebenso wie der Einsatz von Holzblasinstrumenten. Rainer Sass sieht den Eintritt von Anja Seiler in den Fanfarenzug als Auftakt einer gewünschten Entwicklung: Den FZH breiter aufzustellen und mit möglicherweise weiteren Musikerinnen einer Überalterung frühzeitig entgegenzuwirken. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich sind auch interessierte Musiker beim Fanfarenzug weiterhin herzlich willkommen.
Infos unter: www.fanfarenzug-hockenheim.de
Schwetzinger Zeitung 05. August 2011